wahlsonntach

Und denn war ick – ne, denn war ick bei de Sozis. Ick bin nämlich bei Lichte besehn ein jeübter Sozialdemokrat. Mein Vater war Unteroffizier, da liegt de Disziplin so inne Familie! hä, hä, hä!

Also – also, wie ick in den Saal komme,
da hat ooch jrade eener so scheen jeredet.
Und während de Leute schliefen,
da sach ick zu den Een, der neben mir saß:
“Jenosse” sach ick “Jenosse!
Sa’ ma, wieso wählst du’n eiijentlich SPD?”
Ick dacht’, der Mann kippt mir von Stuhl.

“Donnerwetter” sagt er,” Donnerwetter! Nu wähle ick schon 22 Jahre diese Partei, aber warum ick det tue, det hat mir noch keener jefracht!”

“Kieck mal, ick bin in meinem Bezirk zweeter Schriftführer, uff unsere Saalabende is et imma so jemietlich, wir kennen die Kneipe, det Bier is ooch jut, am ersten Mai machen wa imma unsern Ausfluch und aben’s is Fackelzuch, et hat sich allet so scheen einjeschaukelt! Wat brauchste Grundsätze, wenn de een Apparat hast!”

Und da hat der Mann recht! Wahrscheinlich werd ick diese Partei wähln, denn dit is so ein beruhijendet Jefühl: Man tut wat for de Revolution und weeß janz jenau, mit diese Partei kommt se janz bestimmt nich!
Det is sehr wichtich für een selbständijen Jemüseladen!

Und denn hab ick erst mal een Kümmel jetrunken.

aus “Ein älter, aber leicht besoffener Herr”; Kurt Tucholsky; 1930

One thought on “wahlsonntach

  1. Naja, ich weeß nich, mit de Sozen is ooch keen Staat mehr zu machn´. Ick bin ja froh, det et nu endlich fanünftje Linke jibt. Har mich janz schön jefreut, det ick die heute wähln´ konnte. Linke Sozen und Kommunisten janz freiwillig zusammen (ick meen da die Sarah Wagenknecht von de PDS und den Oskar von de Sozen) det wurde Zeit für dieset Land.
    In diesem Sinne is ooch der olle Tucholsky nicht nur jeschichtsträchtig wie der Brecht für mittlerweile fürs Spießbürgertum (die abjehalfterte Schlagersängerin jenseits der Fuffzich singt ja nun ooch Brecht, weil det ihrem Alter entsprechend “seriös” ist und wird zur Lachnummer), sondern hat politisch immer noch recht, denn mit de Sozen allene is nu wirklich keene Revolution zu machen. Det sieht man ja an den Sohn einer sozialhilfeempfangenden Wäscherin, der heute Kanzla is.
    Ick trink nu heute keenen Kümmel uff meene Wahl, sondern werd mir´n janz dicken Joint bauen (det is zeitjemäßer), damit ick die Fresse von de Merkel und janz besonders von diesem pockennarbigen Schnösel vonne FDP (der imma so witzig is und dem ick 1984 in Bonn mal fast eene jescheuert habe, weil der damals als Juli nur Exkemente aus seinem Mund rausließ) besser im TV ertragen kann.

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